Schweigen

Ich saß in der Küche. Vor mir ein Becher Milchkaffee, den ich mir gemacht hatte, um mich etwas zu beruhigen. Doch den hätte ich mir gleich sparen können, denn seit etwa 5 Minuten schimpfte meine Mutter mal wieder auf mich ein. Das meiste von dem was sie sagte war mir nicht neu. Wir hatten dieses Gespräch schon einige Male geführt und jedes Mal war ich am Ende auf mein Zimmer geschickt worden, weil ich nicht auf ihre Fragen antwortete. Ich antwortete nie wenn sie zu dieser einen speziellen Frage kam, ich wollte sie nicht mit meiner Antwort verletzen. Zudem war ich mir sicher, dass sie meinen Standpunkt nicht verstehen würde. Jetzt kam die Frage wieder: "Warum benimmst du dich so? Was ist schon wieder los, dass du wieder nur hier sitzt und schweigst?" Wie immer schwieg ich und mein Blick wanderte von meinem Kaffeebecher zum Fenster. Ich sah wie es draußen regnete und beobachtete einige Regentropfen beim fallen. Deprimiert von dem schlechtem Wetter wandte ich meinem Blick wieder vom Fenster ab und begann damit in meinem, inzwischen kalt gewordenem, Kaffee zu rühren. Jetzt wurde meine Mutter richtig sauer. "Rede endlich mit mir! Wenn du nich gleich anfängst zu reden kriegst du nächsten Monat kein Taschengeld mehr!" Sie ging nun wieder zu den leeren Drohungen über, die sie immer benutzte wenn sie richtig wütend war. Als hätte sie mit jemand anderem gesprochen, rührte ich ohne den Blick zu heben weiter. "Hör auf zu rühren und sag mir jetzt endlich was ich falsch gemacht habe, dass du schon wieder so mit mir umgehst!" Ich seufzte innerlich. Warum konnte sie nicht einfach akzeptieren, dass ich nicht darüber reden wollte? Konnte.... Wie sollte ich ihr bitte erklären, dass ich nicht mehr bei ihr wohnen wollte? Lieber bei Papa 100 km weiter im Süden? Es hatte ja noch nicht einmal was mit ihr zu tun. Es war mein Lebensumfeld hier. Vor ungefähr zwei Jahren hatten meine Eltern sich getrennt. Meine Mutter hatte mich und meine kleinere Schwester mit nach Kiel genommen. Ohne zu fragen ob wir überhaupt weg möchten. Seitdem war ich oft einsam. In der Schule hatte ich kaum Kontakt zu anderen Mitschülern. Meine Schulnoten wurden extrem schlecht, zuletzt sogar so schlecht, dass ich nun die Schule verlassen musste. Ich und meine Schwester sind jede Woche an die zwei Nächte allein zu Haus und wenn ich es mal wage zu sagen, wie alleine wir uns fühlen, wird sie wütend. Es ist ja ihr Job sagt sie immer, es geht ja nicht anders. Aus all diesen Gründen ist nach der Zeit der Wunsch in mir gewachsen, in das süße kleine Städtchen meiner Kindheit zurückzuziehen. Dorthin zurück, wo ich mich immer geborgen und verstanden gefühlt habe. Dorthin zurück, wo ich den Rückhalt meiner Freundinnen habe. Dorthin zurück, wo ich einst so glücklich war und das Gefühl hatte mein Leben hat einen Sinn. Ich spürte wie mir die Tränen in die Augen traten. Ich versucht sie wegzuzwinkern und nahm anschliessend schnell einen Schluck von meinem kalten Milchkaffee. "HALLO??? ICH REDE MIT DIR!!!" Erschrocken fuhr ich zusammen. Während ich über meine Situation nachdachte, hatte ich komplett vergessen, dass meine Mutter noch auf der anderen Seite des Tisches saß und auf meine Antwort wartete. Aber ich schwieg beharrlich weiter. Sie würde es nicht verstehen, warum man in ein, wie sie es ausdrückte, "provinzielles Kaff" zurück wollte. Das es sich dabei um mehr als nur einen Ortswechsel ging, würde sie ebenso wenig verstehen. Ich würde sie nur mit meinem Wunsch verletzen und das war das Letzte was ich wollte. Also schwieg ich. Ich warf kurz einen Blich in die Richtung meiner Mutter. Ich sah, wie sie sich kaum noch in der Gewalt hatte. Jeden Moment würde sie mich nach oben schicken. "Ich gebe dir noch EINE Chance mir zu erklären, was in dich gefahren ist. Wenn du dann immer noch nichts sagst, kannst du in dein Zimmer gehen." Wie geahnt musste ich dieses Gespräch nicht mehr lange aussitzen. Ich nahm meinen Kaffee und Trank den Rest in einem großen Zug aus. Ich stellte meine meinen Becher hin und starrte dann auf die Tischdecke, malte mir aus wie es jetzt wäre, alleine an einem kleinem Sandstrand zu sitzen, den Wellen zusehen und zu lauschen wie sie sich am Strand brachen. Meine Mutter lies mir nicht lange Zeit, an dieses Paradies zu denken. Sie hatte nun endgültig keine Lust mehr auf mein Schweigen. Resigniert hörte ich sie nur noch sagen: "Geh!" Endlich! Es war vorbei und ich hatte wieder einmal das Thema hinter mir. Ich stellte mein Geschirr in Rekordtempo in den Geschirrspüler und verlies die Küche.
romeomikezulu - 23. Jul, 21:18

Huch. Da erlebt ja Jemand so ziemlich das Gleiche wie ich damals...

Erzählst Du hier über etwas, was vor Kurzem erst stattgefunden hat, oder über etwas, was schon lange zurückliegt?

Apsxd - 24. Jul, 00:58

die geschichte hab ich grade nachm streit mit meiner mutter geschrieben...
also ist sie aktuell...
wie war es denn bei dir damals?
romeomikezulu - 24. Jul, 13:17

Ah ok.
Wenn das SO aktuell ist, würde ich schätzen, dass Du jetzt etwa 4-6 älter bist, als ich es damals war.
Meine Eltern hatten sich im Rahmen ihrer Scheidung monate/jahre-lang einen Rosenkrieg abgeliefert, den man echt mal verfilmen müsste. Dabei ging es vor allem um das Aufenthaltsbestimmungs- und Sorgerecht für mich (wenn auch irgendwie nicht so richtig
um MICH, wie mir heute klar ist).
Wie damals so üblich, bekam IMMER erst mal die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Vom ersten Moment an wollte ich aber zu meinem Vater zurück.

Was war jetzt wohl das Beste für das Kind?
Gutachten - Gegengutachten. Gutachten -Gegengutachten. Gutachten .. kein Ergebnis.

Ich bin dann mehrmals von meiner Mutter weggelaufen, weil ich die entnervten Anschreiereien von ihr nicht mehr hören wollte (ihr lief aber zugegebenermaßen die Zeit weg: Sie hatte im Tausch gegen den Verzicht auf mein Sorgerecht noch nicht alle ihre finanziellen Wunschziele erfolgreich mit meinem Vater aushandeln können, während die Lage mit mir immer schwieriger wurde).
Eineinhalb Jahre zogen ins Land.
Als ich dann eigenmächtig zum zweiten Mal mit dem Taxi bei meinem Vater vor der Tür stand, wurde es dem Familienrichter zuviel und mein Vater bekam das Sorgerecht.

Das war eigentlich das, was ich gewollte hatte. Ich kann nicht sagen, wie es gewesen wäre, weiter bei meier Mutter zu bleiben, sie hat sich danach (mit einer einzigen Ausnahme) nie wieder gemeldet.
Ich hoffe nur, dass die Jahre bei meinem Vater besser warten als die, die ich bei meiner Mutter erlebt hätte.
Apsxd - 24. Jul, 18:01

das klingt ja fürchterlich :O so schlimm ist es bei mir gott sei dank nicht...
meine eltern reden nicht mit einander und schreiben sich nicht mal ne email wenns was wichtiges gibt... dann muss meistens ich dann das gespräch übernehemen :( und ansonsten gibt es ständig streit wegen den besuchszeiten bei meinem vater, weil meine kleinere schwester keinen bock mehr hat zu ihm zu fahren weil es zu "stressig" ist. dann fahr ich immer alleine zu papa und ich darf mir dann einen ewigwn vortrag darüber anhören, dass es doch SEIN wochenende ist und das meine schwester doch nicht immer alleine einfach beschliessen kann in kiel zu bleiben. leider vergisst er dann dabei immer dass er das nicht mir sagen muss sondern meiner schwester... -.-
aber mein größtes problem ist halt, dass ich mich in kiel einfach nicht einleben kann. ich würde am liebsten einfach zurück ziehen aber damit würde ich meiner mutter ziemlich wehtun weil sie versucht ja alles (fast alles, wenn man jetzt mal davon absieht das sie sich keine arbeit in kiel gesucht hat) tut, damit es uns so gut wie möglich geht. und meine mutter denkt halt, dass man in der kleinstadt, in der wir mal gewohnt haben, nichts werden kann. sie meint das wär der letzte ort an den sie je zurück kehren würde.
LadylikeKandis - 24. Jul, 19:17

du schreibst sehr gut!

ich kann deine situation nachvollziehen, zumindest was den ortswechsel angeht. mir ging es damals ähnlich, bis auf den unterschied, dass meine eltern sich nicht getrennt haben. aber sie zogen mit meinem bruder und mir auch in eine andere stadt. ich war zwölf. ich brauchte drei jahre, um fuß zu fassen, und es waren mit abstand die für mich schlimmsten jahre. ich blieb in der schule sitzen, hatte keine freunde und war ziemlich allein. nach drei jahren hatte sich die lage etwas entspannt und ich fand mich damit ab.

die andere situation, in der du dich zusätzlich befindest, kann ich zum teil auch nachvollziehen. ich habe mich vom meinem mann getrennt, meine kinder sind bei ihm geblieben, allerdings wohne ich noch im selben haus. d.h. die kinder haben zu uns beiden kontakt, wie sie möchten.
ich habe mich dafür entschieden, damit ich sie nicht aus ihrer umgebung reißen muss, und die räumliche trennung hat wieder etwas mehr frieden in die familie gebracht.

das problem ist eigentlich einfach zu erläutern: der mensch durchfährt im leben unterschiedliche stationen. wenn eltern familien gründen sind sie im durchschnitt mitte -ende zwanzig. wenn die kinder in die pubertät kommen, sind die eltern in einem alter (ca vierzig-mitte vierzig) in dem auch für sie veränderungen aufkommen. die kinder nabeln sich langsam von den eltern ab, entwicklen eigene persönlichkeiten und benötigen trotz allem doch die eltern als halt. wenn diese allerdings anfangen ihr eigenes leben umzukrempeln, ist der halt indirekt nicht mehr gegeben. meine tochter drückt sich so aus: mama, du bist egoistisch und lässt uns im stich. für mich allerdings war es der einzige weg, um selbst wieder eigenen boden unter den füßen zu fassen. die veränderung ist nicht leicht, aber mit der zeit erfahren meine kinder, dass ich wieder gedanklich und mit mehr kraft für sie da sein kann, weil es mir auch besser geht.

vielleicht hilft es dir deiner mutter ganz ruhig zu sagen, dass du nicht reden willst. im moment nicht. dass sie dir die zeit geben soll, bis du bereit bist. aber wenn du ihr deine ängste und gefühle mitteilen wirst, wird sie sicher darüber nachdenken und einen weg versuchen zu finden, damit es euch besser gehen wird.

lg kandis

HotfridgeXXL - 29. Jul, 00:23

aua.

Mausi, das hat echt weh getan das zu lesen, ich kenne dich ja und weiß genau wie es dir geht. Ich hoffe es wird irgendwie besser und versuche mich fleißig im gut-zureden, du weißt ja ich bin Berufs-Optimist.
Wenn ich das lesen möchte ich weinen. Ich habe geweint, ein bisschen um dich und um früher, ein bisschen darum wie schön es Mal war, aber am meisten darüber, dass ich dir nicht wirklich helfen kann.
Kopf hoch, du schaffst das. Ist das einzige was ich sagen kann, so über die Entfernung. Und dich besuchen, das kann ich.
Ich hab dich unsagbar lieb und vermisse dich meine Jenny <3.

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